Zum Werk Ulrike Rosenbachs

Alexandra Wessels

Ulrike Rosenbach, geboren 1943 in Salzdetfurth, ist bekannt für ihre Video-Installationen, Videoaktionen, Performances und Performance-Videoarbeiten. Sie gehört zu der ersten Künstlergeneration, die die neuen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten des Mediums Video wahrnahm. Die Meisterschülerin von Joseph Beuys studierte von 1962 bis 1969 Bildhauerei an der Düsseldorfer Kunstakademie, kommt also aus einer stark plastisch geprägten Kunstrichtung. 1971 wird Ulrike Rosenbach auf der Ausstellung ,prospect 71‘ in der Düsseldorfer Kunsthalle zum ersten mal auf Video als künstlerisches Ausdrucksmittel aufmerksam. Sie erkennt das neue Medium als ideales Arbeitsinstrument und beginnt 1972 selbst mit Video zu arbeiten.

Ulrike Rosenbachs Arbeitsweise ist prozessual und medienübergreifend. Aus der Aktion/ Performance entsteht Video, aus dem Video entstehen Installationen und Skulpturen, die wiederum in Video-Performances einbezogen werden. So entsteht manchmal aus einem Thema ein gesamter Werkzyklus.

Obwohl Ulrike Rosenbach während ihrer Ausbildung als Bildhauerin eine strikte Gegnerin jeder Art von Aktionen war, spielen Performances in der frühen Phase ihrer Videoarbeit bereits eine große Rolle. Für ihre ersten Performances vor Publikum verwendet sie ausschließlich die Live- Kamera: Das Publikum sieht die Künstlerin agieren und gleichzeitig dieselbe Aktion aus verändertem Blickwinkel auf dem Monitor. Erst später verwendet Ulrike Rosenbach vorproduzierte Videobänder in ihren Performances. In den frühen closed-circuit-Ationen fungiert die Kamera als verlängertes Auge, der Blick der Künstlerin wird an die Zuschauer weitergegeben. Video dient als Darstellungsmittel, das für das Publikum Eindrücke der Performance vervielfältigt. Ulrike Rosenbach befestigt z.B während ihrer Aktionen die Kamera am eigenen Körper und ermöglicht den Zuschauern über die direkte Projektion auf Monitore einen ungewöhnlichen Blickwinkel.

Die für den Zuschauer ungewohnte Perspektive der Darstellung bricht mit vertrauten Wahrnehmungsmustern. Der an sich selbstverständliche Vorgang des Sehens wird bewußt gemacht und in Frage gestellt.

Bis zu Anfang der 80er Jahre konzentrieren sich Ulrike Rosenbachs Arbeiten vor allem auf die Frage weiblicher Identität. Bereits bevor sie das Medium Video für sich entdeckt, beschäftigt sie sich mit der Frage ihrer eigenen Doppelrolle als Künstlerin und Ehefrau/Mutter. Daraus entsteht 1969 als eine ihrer ersten Arbeiten die Objektserie „Hauben für eine verheiratete Frau“, in der sich die Künstlerin mit weiblichen Symbolen auseinandersetzt. In ihren Videoarbeiten bis etwa 1973 führt sie diese Beschäftigung mit ihrer eigenen Identität fort. In dieser Zeit arbeitet Rosenbach vor allem mit ihrem eigenen Körper. Es entstehen Arbeiten über ihre Mutter und ihre eigene Rolle als Mutter, wie zum Beispiel „Einwicklung mit Julia“ (1973) und „Sorry Mister“ (1974) Ulrike Rosenbach bezeichnet diese Phase als ihre autobiographische Phase, in der sie Rollenklischees an sich selbst erprobt.

Dieser Zeit folgt eine Phase, in der die Künstlerin ihren individuellen Ansatz auf den der sozialen gesellschaftlichen Rolle der Frau ausweitet: „Nachdem die autobiographische Phase vorbei war, etwa 1973, habe ich mich auf das Bild der Frau im Kulturkontext konzentriert.“ Sie beginnt mit weiblichen Typisierungen und gesellschaftlich und historisch überlieferten Klischees zu arbeiten, wobei sie häufig Zitate aus der Kunstgeschichte benutzt. In ihren Bildern aktiviert Ulrike Rosenbach alte Ideologien, um sie dann entweder endgültig zu verwerfen oder von neuem zu gebrauchen. Es entstehen Arbeiten wie „Madonnas of the Flowers“ (1975), „Glauben Sie nicht, daß ich eine Amazone bin“ (1975) und „Reflektionen über die Geburt der Venus“ (1978). Die Künstlerin macht die im medialen Prozeß vermittelte Wahrnehmung sichtbar, die der Frau einen Status als Bild zuweist. Symbolisch werden mit den Bildern traditionelle Erwartungen vernichtet und Klischees zerstört.

Nach diesem Prozeß der ,Entblätterung‘ des Frauenbildes von seinen historischen Überlagerungen, wendet sich Ulrike Rosenbach in den 80er Jahren weiter gefaßten kulturellen Aspekten zu. Die Suche nach dem Wesen der Frau entwickelt sich zu der Frage nach allgemeinen spirituellen Zusammenhängen. Es geht ihr nicht mehr darum, ihr Selbst zu spiegeln, also ein Abbild von sich zu schaffen, sondern durch die Erscheinung hindurch zur Identität zu gelangen. Den kämpferischen Feminismus legt Ulrike Rosenbach schließlich fast ganz ab. Weiblich und männlich sieht sie als Pole eines androgynen Ganzen. Dualität, Transformation und Energie sind Kernbegriffe dieser Zeit. In dem Prinzip der Dualität sieht Ulrike Rosenbach die Möglichkeit zur Veränderung, des Austauschs zwischen zwei Polen. Für das Idealbild ihres ,Selbst‘ spielt das aus der Alchemie übernommene Symbol der Androgynität eine große Rolle, das mit der Vereinigung der Gegensätze Mann/Frau (Yin/Yang) auch die Synthese der traditionell angenommenen Dualitäten andeutet: Aktivität und Passivität, Rationalität und Intuition, westliches und östliches Denken verschmelzen.

Nach 1982 verbringt Ulrike Rosenbach eine längere Zeit in den USA und setzt sich intensiv mit dem Zen-Buddhismus auseinander. In der folgenden Zeit nähert sie sich einem künstlerischen Ausdruck, den sie selber als „meditativ“ bezeichnet. Zu diesen „Meditationsbändern“ Bändern gehören neben „Inner Landscape“ (1984) „Das Feenband“ (1983), und „Der Wind meiner Träume“ (1986). Die Videoarbeiten gehen nicht mehr direkt auf eine Aktion zurück. Sie zeigen auch keinen dramatischen Handlungsverlauf, sondern berufen sich auf ein reduziertes Bildvokabular, das in einem offenen Collage-Raster angeboten wird. Ulrike Rosenbachs Arbeiten spiegeln ihr Bemühen als „westlich geprägte Künstlerin östliche Lebens/Kunst zu erfassen“. Sie begreift ihre Kunst als ,Heilritual‘‘, die der Rezipient weniger rational verstehen als intuitiv erfassen soll. Marlies Grüterich erkennt hierin den Einfluß von Joseph Beuys wieder: „Joseph Beuys war für Ulrike Rosenbach der richtige Lehrer. Für den Naturkundigen und Kunst-Anthropologen bzw. -Anthroposophen wahren Wahrnehmen und Artikulieren schon das verkörperte Denken...“

1989 wird Ulrike Rosenbach als Professorin für neue künstlerische Medien an die Hochschule der Bildenden Künste in Saarbrücken berufen. Sie leitet die Klasse für künstlerische Medien, mit der sie an die multimedialen Grundlagen der Bauhausschule in Weimar anknüpft.

Das Medium der Autonomie - Weibliche Identitätssuche

An ihrer Arbeit mit Video schätzt Ulrike Rosenbach vor allem in ihrer Anfangszeit den Aspekt der Autonomie, der ihr neue Perspektiven im Umgang mit dem neuen Medium eröffnet: Durch das unaufwendige Entwicklungsverfahren ergibt sich die Möglichkeit, Bewegungen in Raum und Zeit authentisch zu dokumentieren und unmittelbar wiederzugeben. Das heißt, Aktionen/ Performances lassen sich auf dem Monitor überprüfen. Ulrike Rosenbach spricht von der , Kontrolle‘ ihrer eigenen Person, ihrer Bewegungen, ihres Lebens durch die Kamera. Video bietet darüber hinaus eine Vielfalt von Kombinationsmöglichkeiten, die technisch leichter umzusetzen sind als im Film. Z.B. Tonkombinationen, Bildcollagen. Videobänder lassen sich sowohl leicht vervielfältigen als auch über das Fernsehen ausstrahlen, das heißt - zumindest theoretisch - leicht an die breite Öffentlichkeit bringen. Diese relativ unkomplizierte Möglichkeit zur Reproduktion des Kunstwerks interessiert Ulrike Rosenbach vor allem im Hinblick auf Walter Benjamins Theorien über die Vervielfältigung des Kunstwerks: Kunst soll nicht mehr das Privileg bestimmter Gesellschaftsschichten sein; auch außerhalb von Museen, Galerien und Ausstellungen ermöglicht Serienanfertigung: ,Kunst für alle‘ Video ist noch nicht von Männern geprägt: Es hat noch keine vorbelastete Kulturgeschichte. Ulrike Rosenbach nennt es selbst ein „blankes Medium“, dessen Qualitätskriterien noch nicht in dem Maße von Männern bestimmt sind, wie das in traditionellen Kunstarten der Fall ist. Für Ulrike Rosenbach bietet Video die Möglichkeit, sich dem herrschenden Blick der Männer (wenn auch nur imaginär) zu entziehen und sich selbst in die Position des Betrachters zu versetzen.

Der männlich geprägten Sprache setzt sie die weibliche Körpersprache entgegen.

Mithilfe der dem Video innewohnenden Möglichkeit der beständigen Rückkopplung zwischen Aufnahme und Bildwiedergabe lassen sie den videotechnischen Blick bereits im Moment der Aufnahme sichtbar werden. Damit heben sie nicht nur die Trennung zwischen Subjekt (Mensch) und Objekt (Wiedergabe des Menschen) auf, sondern ermöglichen auch eine neue, gewissermaßen entfremdete Sichtweise auf die ene Identität.

Unvorbelastet ist Video allerdings nur hinsichtlich seiner Geschichte als künstlerisches Medium. Das Gegenteil gilt für seine politische Bedeutung: So ist Video spätestens seit seiner Verbreitung auf VHS von der Unterhaltungsindustrie in Beschlag genommen worden und übernimmt durch seine Verwandtschaft zum Fernsehen auch dessen Funktion zur Verbreitung gesellschaftlicher Normen und Werte. „Angesichts dieser Entwicklung wage ich das Wort Autonomie im Zusammenhang mit Video als Technik kaum zu gebrauchen. Das ist eine seltsame Situation. Sie macht klar, daß, wenn man das Medium Video benutzt, es immer im politischen Zusammenhang getan werden muß. Video ist eine moderne Technik, mit der sehr viel Mißbrauch getrieben wird, wie uns schon seine Erfindungsgeschichte beweist. In diesem Sinn ist es ein politisches Medium a priori.“

Kontrolle: Video als Spiegel

Da Video ursprünglich als Kontrollinstrument für Rüstung und Weltraumfahrt entwickelt wurde, ist es für Ulrike Rosenbach auch in dieser Hinsicht vorbelastet. Sie setzt sich mit dem dem Medium innewohnenden Kontrollelement auseinander, indem sie es konstruktiv in ihre Arbeiten integriert: „ Das Moment der Kontrolle, das Gefährlichste an diesem Medium, habe ich mir am allermeisten zueigen gemacht in der Arbeit mit der Selbstkontrolle durch die Kamera.“ Da Aufnahme und Bildwiedergabe in der Videotechnik gleichzeitig stattfinden und eine ständige Kontrolle des Aufgezeichneten möglich machen, findet sich die Auseinandersetzung mit sich selbst, dem eigenen Gegenüber, in den Arbeiten vieler Videokünstler. Sie benutzen Kamera und Monitor wie einen Spiegel.

Auch Ulrike Rosenbach beschäftigt sich vor allem in den ersten Jahren ihrer Arbeit mit dem narzißtischen Aspekt des Mediums. Sie arbeitet ohne Publikum mit ihrem eigenen Körper. Die Kamera hat eine Kontroll- und Spiegelfunktion. Die Arbeiten „Einwicklung mit Julia“ (1973) und „ Tanz für eine Frau“ (1975) sind Ergebnis solcher „private performances“, die sie ohne Schnitte aufnimmt. Das fertige Kunstwerk ist die Aufzeichnung einer „eine Einheit bildenden Aktion“, ein in sich abgeschlossenes Band. Die Möglichkeit, gleichzeitig vor und hinter der Kamera zu stehen, Aufnehmende und Aufgenommene zu sein, führt zu einer Aufhebung der traditionellen Rollenverteilung zwischen Künstler und Modell. Durch Arbeiten wie „Tanz um einen Baum“ (1979) schafft Ulrike Rosenbach neue Standards in der Vermittlung von Body Art und Performancekunst in medialer Form. Die Videokünstlerin ist nicht nur Objekt ihrer Arbeit, sondern als Schaffende gleichzeitig auch Subjekt. Sie ist gleichzeitig Produzentin, Kunstobjekt und Rezipientin: eine Frau, die ihr eigenes Bild neu erschafft und sich dadurch vom herrschenden Blick der Männer emanzipiert.

Trotz dieser Möglichkeiten zu eigenständiger Arbeitsweise, die das Medium Video anbietet, indem es Frauen den autonomen Entwurf eines weiblichen Bildes ermöglicht, haftet der Verwendung der Kamera als Spiegel immer das problematische Verhältnis der Frau zu ihrem eigenen Spiegelbild an, das seit Jahrhunderten Image-Falle und Rollen-Gefängnis für Frauen gewesen ist: Einerseits Mittel narzißtischer Identifikation, andererseits Konfrontation mit dem symbolischen Blick des Anderen, des Dritten. Auch in Ulrike Rosenbachs Arbeiten drückt sich das Problem aus, beim Blick auf das Selbst nur ein verzerrtes Spiegelbild wahrnehmen zu können. Sie drückt diese Überlagerung der Persönlichkeit durch standardisierte Bilder von Weiblichkeit durch Überblendungen ihrer eigenen Person mit historischen Frauenbildern aus. So setzt sie beispielsweise in ihren Arbeiten „Madonnas of the Flowers“ (1974), „Glauben Sie nicht, daß ich eine Amazone bin“ (1975) und „Reflektionen ü ber die Geburt der Venus“ (1978) die Kamera dazu ein, sich selbst für sich selbst und für das Publikum zum Bild zu machen und macht dadurch die durch Medien vermittelte Wahrnehmung der Frau in sich überlagernden Klischeebildern bewußt. Video dient hier nicht nur als Spiegel des Selbst, sondern darüberhinaus als Spiegel gesellschaftlicher Ideologien.

Körpersprache und Taktilität

Sowohl an Ulrike Rosenbachs Performances als auch an ihren Tapes und Installationen fällt der betonte Einsatz von Körpersprache auf, die sie als weibliche Ausdrucksform einer männlich geprägten Wahrnehmungsweise entgegenhält. Besonders intensiv beschäftigt sich Rosenbach mit Händen und deren Gestik. Durch die Konzentration auf die Hände (fassen, fühlen, greifen) betont Ulrike Rosenbach den taktilen Charakter ihrer Arbeiten. So sind zum Beispiel auf dem Videotape „Alle lieben Carmen“ (1984) Ulrike Rosenbachs Hände fast über die gesamte Länge in Großaufnahme zu sehen. Die aus der Performance/Aktion entstandene Videoarbeit „Sorry Mister“ (1974) zeigt ausschließlich einen Körperausschnitt und eine reduzierte Geste: Auf dem Monitor ist lediglich der Oberschenkel der Künstlerin zu sehen, auf den sie mit ihrer Hand schlägt, bis die Haut dunkel anläuft.

Körpersprache und Taktilität sind künstlerische Ausdrucksformen, die besonders in Arbeiten von Frauen immer wieder auffallen. So weist beispielsweise Lucy Lippard darauf hin, daß die Body Art von Frauen als eine ,Wiedergeburt‘ nach einer Geschichte patriarchalischer Unterdrückung gefeiert wurde. Als Reaktion auf den instrumentellen Status der Frau haben feministische Konzepte immer wieder versucht, unter dem Schlagwort ,Rekuperation‘ den Körper der Frau als einen Ort weiblichen Authentizität und Stärke zu behaupten. Die Zurückgewinnung des Körpers ist gleichermaßen verbunden mit dem Kampf um Würde und Selbstbestimmung. „Der weibliche Körper und das weibliche Selbst werden gleichsam miteinander kurzgeschlossen, wobei das Selbst der Frau durch die ,Rekuperation‘ ihres Körpers wiedergewonnen werden soll.“

Ulrike Rosenbach betont die Taktilität darüberhinaus, um den visuellen Eindruck ihrer Videoarbeiten zu erweitern und das im allgemeinen auf den visuellen Sinn beschränkte Sensorium anzusprechen. Dabei erhält ,Taktilität‘ eine Bedeutung, die über die des reinen Berührungssinnes hinausgeht. Ulrike Rosenbach entdeckt in ihrer Arbeit mit dem ursprünglich visuell-distanzierten Medium die plastisch-sinnlichen Aspekte neu: „Ich bin Plastikerin, und es ist wichtig für mich, diesen Kasten und die gläserne Bildröhre vor mir zu haben.“

Ihre Arbeiten machen Video erlebbar, sie setzt der rein visuellen Wahrnehmung die Propriozeption entgegen. Taktilität heißt hier im Mc‘Luhanschen Sinne ,interplay of senses‘ - Einheit der Sinne, die ein fragmentiertes Sensorium wieder herstellt. So befestigt die Künstlerin z.B. für „ Zenkocher - Energetisches Phänomen“ Seidenpapier an Bildschirmen, die allein durch die elektrische Spannung der Monitore gehalten werden. Ulrike Rosenbach macht damit nicht nur die elektrische Spannung, sondern auch die Materialität des Monitors bewußt. Das Video-Band auf den Monitoren zeigt dabei lediglich Dampfwolken, die in regelmäßigen Abständen von einem Zischen begleitet werden.

Collage: Das offene Kunstwerk

Ihre Performances sieht Ulrike Rosenbach als ,Collagen‘ verschiedener Ausdrucksformen wie Sprache, Musik, Bewegung, Objekten und Zeichnungen, die alle Sinne ansprechen. Die Materialien, die Ulrike Rosenbach für diese Collagen verwendet, bezeichnet sie als für die Aussage des Kunstwerkes genauso wichtig, wie die formale Organisation der Elemente: „Meine Arbeiten sind Collagen. Deshalb tragen die Materialien, die ich in den Performances verwende, und ihre formale Organisation dieselbe Menge an Bedeutung zu der Arbeit bei wie das Stück Sprache oder das Stück Musik, das fertig von der Platte abgenommen wird. Das wird alles zusammenkomponiert zu dem, was ich gerne ausdrücken möchte. Das ist wie bei den Dadaisten und ihren Zeitungsschnipseln, daß die in dem Zusammenkleben neben ihrer beabsichtigten Aussage zugleich klischierte Haltungen zum Ausdruck gebracht haben.(...) Die einzelnen Komponenten der Arbeit sind wie Erinnerungsteile, die der Betrachter findet und mit seinen Assoziationsteilen verbindet.“

Auch Ulrike Rosenbachs auf Aktionen bezogene Videoarbeiten sind nicht etwa lineare Abhandlungen der gleichnamigen Performance, sondern häufig Montagen aus ausgewählten Aktionssequenzen, computergenerierten Bildcollagen und einer Tonebene, die sowohl Musik als auch gesprochenen Passagen mit poetischem Charakter enthält. „Der Wind meiner Träume“ (1986) und „Die Eulenspieglerin“ (1985) sind nur zwei Beispiele für Arbeit in dieser offenen Collagenform, mit der Ulrike Rosenbach Wahrnehmungsprozesse anregen will, die sich von der Rezeption traditioneller Kunstbetrachtung unterscheiden. Wie es z.B. von Jutta Brückner für den „ weiblichen Blick“ beschrieben worden ist, liegt die Bedeutung von Rosenbachs Kunst ,zwischen den Bildern‘, die der Rezipient ergänzt und mit Inhalten füllt, indem er die Einzelteile zusammensetzt. In ihrem Bewußtsein für die Veränderung von Wahrnehmungsprozessen sieht sich Ulrike Rosenbach beeinflußt von den semiologischen Theorien Roland Barthes und Umberto Ecos: „ Das Bewußtsein der Veränderung von Wahrnehmungsprozessen gab es plötzlich überall (...) Dazu bildeten sich die entsprechenden Theorien, die ,Visuelle Kommunikation‘, die unsere Ausbildung mitzuprägen begann, die semiotischen Wissenschaften und die linguistischen Theorien. Schriften von Roland Barthes und Umberto Eco fanden unsere stärkste Beachtung.“

Sowohl Barthes als auch Ecos Untersuchungen visueller Codes berufen sich im weitesten Sinne auf die strukturalistische Grundannahmen. In seiner Untersuchung zur „Rhetorik des Bildes“ nimmt Barthes eine Zweiteilung in eine nicht codierte, ikonische (buchstäbliche) Nachricht und in eine codierte ikonische Nachricht vor. Um die erste, buchstäbliche Ebene des Bildes zu lesen, benötigt der Betrachter nur das von der Wahrnehmung gelieferte Wissen. Die zweite Zeichendimension weist dem Bild eine Bedeutung zu, die über die reine Darstellung hinausgeht. Diese Ebene ist für Sinnassoziationen offen, die aufgrund der kulturellen Bildung und persönlichen Erfahrung des Betrachters mit ihr verknüpft werden. Umso vieldeutiger die erste (,buchstäbliche‘) Ebene eines Kunstwerkes ist, desto offener ist das Kunstwerk gegenüber den Assoziationen des Betrachters.

Umberto Eco beschreibt das „offene Kunstwerk“ als Vorschlag eines Feldes interpretativer Möglichkeiten, die den Rezipienten zu einer Reihe stets veränderlicher ,Lektüren‘ veranlassen. Dabei ist die Vielfalt der möglichen Antworten ein Zeichen für die Freiheit - das „Informationspotential“ - des Kunstwerkes: Je offener dieses ist, desto reichhaltiger ist die Kommunikation. „Die Bedeutung einer Botschaft (...) konstituiert sich proportional der Ordnung, der Konventionalität und damit der ,Redundanz‘ der Struktur. Die Bedeutung ist umso klarer und eindeutiger, je mehr ich mich an Wahrscheinlichkeitsregeln und an Organisationsgesetze halte, die vorher festgelegt sind. (...) Umgekehrt, je mehr die Struktur unwahrscheinlich, mehrdeutig, unvorhersehbar, ungeordnet wird, desto mehr nimmt die Information zu.“ In diesem Sinne handelt es sich bei Ulrike Rosenbachs Videokunst um ,offene Kunstwerke‘, die vom Rezipienten Vervollständigung verlangen. Ihre Arbeiten sind Zusammenstellungen von bildhaften Elementen, Symbolen, Gesten, die beim Betrachter Assoziationen wecken sollen. Keines der Elemente ihrer Arbeit ist eindeutig, im Zusammenspiel und im Verweis auf seelische und kulturgeschichtliche Analogien ergibt sich eine Aussage, die nur persönlich nachzuvollziehen ist.

Zeitstrukturen

Ulrike Rosenbach lenkt die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf die Wahrnehmung der Zeit, indem sie auf einen authentischen Zeitablauf Wert legt, der die Zeiterfahrung des täglichen Lebens imitiert und sie dadurch bewußt macht. Dem Betrachter, der durch das Fernsehen an häufige Schnitte und immer neue Bilder gewöhnt ist, erscheint die langatmige, schnittlose Bildfolge ihrer Arbeiten deshalb oft ,langweilig‘ im wahrsten Sinne des Wortes: „Die Zuschauer von Videobändern sind oft überrascht, wie sehr sie sich langweilen, weil sie so an den schnellen Schnitt des Films gewöhnt sind. Sie haben kaum Geduld, sich einen Vorgang von vorne bis hinten anzusehen. Sie wollen unterhalten werden, das ist der springende Punkt.“ Ulrike Rosenbach grenzt sich bewußt von Massenphänomenen wie Film und Fernsehen ab, indem sie diese Unterhaltung verweigert und Wert darauf legt, daß die mikroskopische Genauigkeit der Kamera auch auf das Tempo übergeht. „Die Untersuchung von geringen Veränderungen wird plötzlich spannend, kann atemberaubend sein.“ Dem Bemühen, eine authentischen Zeiterfahrung zu vermitteln, entspricht Rosenbachs Vorliebe für Nahaufnahmen und Detailtreue, die das Aufgenommene in Lebensgröße wiedergeben.

Im Videoband „Lotusknospentöne“ (1979) ist der provokant langsam gestaltete Handlungsablauf ein wesentliches Handlungsmoment. Intensiviert wird das Empfinden der Zeit durch die häufige Verwendung von Wiederholungen. Der immer gleiche Ablauf einer Handbewegung wiederholt sich regelmäßig, während die Künstlerin mit dem Betrachter über die aufnehmende Kamera in permanentem Blickkontakt bleibt. Durch ihren bewußten Umgang mit Zeitstrukturen macht Ulrike Rosenbach auf ein Medium aufmerksam, das lange hinter der Bedeutung des Raumes kaum wahrgenommen wurde. „Da der Raum, im Gegensatz zur Zeit, dem Gesichtssinn zugänglich ist, gründete sich unser Hauptzugang zur Realität lange Zeit auf den Raum.“ Das perspektivische Konzept, das während der Renaissance eingeführt wurde, führte zu einer Trennung von Zeit und Raum und einer Auflösung des „Zeit-Raum-Kontinuums“: Zeit wird als lineare Größe wahrgenommen, die unterteilt in Sequenzen wie Sekunden und Minuten - unabhängig vom Raum beliebig meßbar ist. Erst in diesem Jahrhundert wurde die alte Auffassung des Zeit-Raum-Kontinuums durch die Relativitätstheorie wissenschaftlich untermauert und beginnt damit allmählich wieder in das allgemeine Bewußtsein zu rücken. Dieser Prozeß wird durch die Auswirkungen elektronischer Medien unterstützt, die Raum und Zeit wieder in Verbindung bringen: Telekommunikation, Computernetze und Videoübertragung lassen die Raumzeit als untrennbare Ganzheit erfahrbar werden. Während die Bedeutung des Raumes abnimmt (die Welt als „Global Village“), entdecken wir gleichzeitig das Wesen der Zeit neu.

Kunst als Heilritual

In ihrer Darstellung der Beziehung Mensch/Natur verarbeitet Ulrike Rosenbach Gedankengut aus der Renaissance, in der die herrschende Naturauffassung das Universum als lebendige organische Einheit darstellte, in der jeder Teil mit jedem anderen zusammenhängt und in interaktiven Prozessen steht: „Der Neo-Platonismus des 15. und 16. Jahrhunderts ging davon aus, daß der Kosmos eine Seele hatte und sich zwischen dem Abstrakten und der Materie und vice versa ein dauernder Energiestrom hin- und herbewegte.“

Im Laufe fortschreitender Rationalisierung und Individualisierung nach der Kopernikanischen Wende war das Magisch-Mythische immer weiter eingedämmt worden, Gleichzeitigkeit wurde durch Linearität, Ganzheitlichkeit durch Segmentierung ersetzt. An die Stelle des ganzheitlichen bildhaften Erfassens ist lineare Kausalität getreten. Mit der Verdrängung des partizipierenden Bewußtseins, nämlich einem Bewußtsein, das der Welt nicht distanziert, beobachtend gegenübersteht, sondern sich mit dem Wahrgenommenen identifizieren kann, ging auch die Verbindung mit der Natur verloren, die Ulrike Rosenbach in ihren Arbeiten wieder herzustellen versucht. Videoarbeiten wie „Die Schlacht der Bäume“ (1989), „Sonnenspiele“ (1991) oder „Über den Tod (1996) setzen sich intensiv mit dieser Thematik auseinander Ulrike Rosenbachs Kunst ist für sie Heilritual, in dem sie dem männlichen Logos das bildliche, ganzheitliche Erfassen entgegensetzt. Ihr Ziel ist letztendlich nicht die Rückkehr zum Urweiblichen, zum Matriarchat, sondern die Wiederherstellung der Einheit, die Synthese zwischen weiblich und männlich, die Verschmelzung zur Androgynität. Die Alchemie und die moderne Technik treten nebeneinander auf und schließen sich nicht aus.

Die Entwicklung von Ulrike Rosenbachs Arbeiten vom ,kämpferischen‘ Feminismus zu spiritueller, ritualhafter Kunst erscheint aus diesem Blickwinkel nicht als Bruch mit ihren bisherigen Prinzipien, sondern vielmehr als folgerichtige Fortführung eines Gedankens. Der Weg von der Beschäftigung mit ihrer eigenen Rolle als Frau über die Verarbeitung historisch überlieferter Frauenbilder und Klischees bis zum Ursprung, dem ,Urweiblichen‘, hinter dem sich männlich und weiblich schließlich auflösen, ist die konsequente Weiterentwicklung der Frage nach der eigenen Existenz, die sich langsam zur universellen Existenzfrage ausweitet.

Neuere Arbeiten wie das zur Videoraumskulptur „Im Palast der Neugeborenen“ entwickelte Band „Ü ber die Kinder“ (1997), die die grundlegenden Konditionen unserer westlichen Gesellschaft hinterfragen, schließen diesen Kreis.